Auf den Spuren der friedlichen Bewegung in Werdau - Über das Friedensseminar Königswalde

Im Herbst 1989, als der Ulbricht-Honecker-Staat in die Luft flog, fragten mich manche, wie denn das alles so plötzlich gekommen sei. Ich antwortete, diese Eruption hätte eine lange Vorgeschichte, und erinnerte mich an Königswalde."
ERICH LOEST in GEO, Januar 1990

Inhaltsverzeichnis

I. Inhalt

II. Prolog

III. Auf den Spuren der friedlichen Bewegung in Werdau

3.1 Wie alles Begann

3.2 Das erste Friedensseminar

3.3 Friedensseminare und ihre Kritik an der DDR

3.4 Die Staatssicherheit greift aktiv ein

3.5 Die Arbeit des Friedensseminars bis 1988

IV. Vom Friedensseminar zur Friedlichen Revolution in Werdau

4.1 Auf dem Weg zur Friedlichen Revolution

4.2 Erste Verbotene "Demonstration"

4.3 Aktives Handeln des Friedensseminars

4.4 "40 Jahre DDR - Was war? - Was ist? - Was wird?"

4.5 Die Werdauer "Reaktion"

4.6 "Werdaus revolutionäre Ideen"

V. Schlussbetrachtung

VI. Anhang

6.1 Chronik und Themen der Friedensseminare

6.2 Chronik der friedlichen Revolution in Werdau 1989

6.3 Versicherung

6.4 Anmerkungen

6.5 Quellenkritik

6.6 Quellverzeichnis

6.7 Gesprächsprotokoll

 

II. Prolog

Die friedliche Revolution stellt einen bedeutenden und einzigartigen Meilenstein der deutschen Geschichte dar. Weltpolitische Veränderungen, welche vor allem durch die Politik Gorbatschows ("Glasnost" und "Perestroika") geprägt waren, sowie die demokratische Bewegung in der DDR, an der weite Teile der Bevölkerung Anteil hatten, führten zum unverhofften und überraschende Ende der Deutschen Demokratischen Republik. Doch auch diese Ereignisse hatten eine lange Vorgeschichte, welche besonders durch die verschiedensten Friedensbewegungen geprägt waren. Denn schon in den siebziger Jahren hatten sich vereinzelte Friedensseminare* gebildet, wobei Königswalde zu den bekanntesten zählt.

Seit Mai 1973, als das Friedensseminar von etwa 26 ehemaligen Bausoldaten gegründet wurde, wuchs die Teilnehmerzahl alljährlich rapide an. In den achtziger Jahren kamen mehrere hunderte von Teilnehmern aus den unterschiedlichsten Ländern. Das Friedensseminar bildete zudem auch eine bedeutende Grundlage für die friedlichen Demonstrationen im Raum Werdau.

In dieser Ausarbeitung möchte ich auf die friedlichen Bewegungen im Raum Werdau, besonders auf die Bedeutung des Königswalder Friedensseminars eingehen, um dann daran anschließend die friedliche Revolution darzustellen. Dabei steht stets im Vordergrund inwieweit das Seminar die friedliche Revolution in Werdau beeinflusste und es wird weniger Wert auf eine chronologisch vollständige Darstellung gelegt.

* Bedeutende und regelmäßige Friedensseminare auch in Meißen, Königswartha, Naumburg, Waldheim und Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz).

 

III. Auf den Spuren der friedlichen Bewegung in Werdau

3.1 Wie alles Begann

Der Ursprung des Königswalder Friedensseminars liegt vor allem darin begründet, dass die SED im Januar 1962 [1] die allgemeine Wehrpflicht einführte. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland gab es in der DDR keinen "zivilen Ersatzdienst" [2]. Es wurde deshalb jeder, auch gegen sein Gewissen, einberufen. Doch diese Regelung barg ein großes und beachtliches Widerstandspotenzial, denn trotz Haftandrohung gab es bis 1964 ungefähr 2400** Kriegsdienstverweigerer. Aufgrund dessen wurde am 7. September 1964 eine Anordnung erlassen, die den "Wehrersatzdienst" in Form von so genannten Baueinheiten ermöglichte.

Obwohl man als Bausoldat viele Schikanen ertragen musste und der Staat einem das Leben schwer machte (z.B. Abitur und Studium erschwert/verwehrt) [3], gab es doch etliche DDR-Bürger die den Dienst an der Waffe verweigerten. Zu einen der Aktivsten zählte auch der Königswalder Hansjörg Weigel, der Initiator des späteren Friedensseminar. In der Baueinheit, der er angehörte, wurde sehr ausführlich über politische Probleme diskutiert und man gelangte zu der Ansicht, dass der Bausoldatendienst noch zu nah an der Waffe war. Sie forderten vielmehr einen Friedensdienst, den es jedoch nie geben sollte.

** Mittelwert, Angaben schwanken zwischen 15001 und 3300 [2] Kriegsdienstverweigerern

 

3.2 Das erste Friedensseminar

Weigel wollte sich die Friedensarbeit zur Hauptaufgabe machen und lud deswegen 1969 zum Seminar ein. Doch es fand nicht statt, da es keine Interessenten gab [3]. Der zweite Versuch war jedoch erfolgreicher und so kam es im Mai 1973 zum allerersten Friedensseminar überhaupt. In der Einladung stand: "Für alle Fragenden, die sich vor allem über Wehrdienst, Friedensdienst und Gewaltlosigkeit Gedanken machen, bietet sich die Möglichkeit zur Information, zum Nachdenken und zur Arbeit über all diese Probleme" [1].

Unterschrieben wurde Sie von dem Königswalder Pfarrer Klaus Albers, weshalb das Seminar unter kirchlicher Schutzfunktion stand. Viele der 27 meist jungen Teilnehmer kamen aus den Jungen Gemeinden aus dem Kreis Werdau und wollten oder hatten den Wehrdienst verweigert oder auch geleistet. [4]

Diskussionsgrundlage des ersten Friedensseminars war ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahr 1934: "Es gibt keinen Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Der Frieden muss gewagt werden." [4]. Referent Pfarrer Rudolf Albrecht erklärte, dass Armeen die Bevölkerung nicht schützen können, und bewies diese These anhand der prozentualen Veränderung der Anzahl an Ziviltoten vom 1.Weltkrieg bis zum Koreakrieg. Von nun an, sollten die Seminare zweimal pro Jahr an einem Wochenende im Frühjahr und im Herbst stattfinden.

 

3.3 Friedensseminare und ihre Kritik an der DDR

1974 bemerkte der Werdauer Pfarrer Meusel zum Friedensseminar: "Ihr seid die Bekennende Kirche von heute" [5]. Anhand dieses Zitates wird deutlich, dass die Problematik Krieg und Frieden stets im politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang diskutiert wurde. So kam es auch, dass zum Herbst-Seminar des Jahres der ehemalige Bausoldat Bernd Eisenfeld, ein kritischer Marxist und ein Sympathisant des Prager Frühlings, als Referent geladen wurde. In seinem Vortrag setzte er sich mit den Thesen des Marxismus über Krieg und Frieden auseinander und kritisierte zum Teil auch deutlich die Ideologie von Lenin. [6]

Im weiteren Verlauf fasst der Autor vordergründig DDR-kritische anstatt christlich-biblische Diskussionen und Seminare ins Auge, damit deutlich wird, inwieweit das Friedensseminar die friedliche Revolution (im Raum Werdau) beeinflusste.

Das Frühjahr-Seminar 1976 wurde politisch höchst brisant, denn Hansjörg Weigel hielt selbst einen Vortrag über die "Militärische Erziehung in der DDR" . Besonders kritisch setzte er sich mit der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik im Bezug auf die militärische Erziehung auseinander. Denn seit 1967 wurde die vormilitärische Ausbildung nach und nach fester Bestandteil des Bildungssystem[7]. Folgendes Zitat aus dem Liederbuch "Sputnik, Sputnikreise" für Vorschulkinder machte dies deutlich:

Lieber Soldat,
du trägst ein Gewehr
dich lieben wir sehr.
Mit Panzer und Flugzeug
bist du stolz bereit
für uns Kinder alle im Ehrenkleid. [8]

Zudem entwickelten die Teilnehmer der Veranstaltung 1976 einen Alternativentwurf zum Gelöbnis für Baueinheiten indem das "Freund-Feind-Denken" abgelehnt wurde und zivile Aufgaben im Vordergrund standen. Das Thema "Menschenrechte und Verfassungsrealität" des Herbst-Seminars des Folgejahres besaß ebenfalls eine große politische Brisanz, denn 1976 war die Deutsche Demokratische Republik der UNO-Konvention über "politische und zivile Rechte" beigetreten. Jedoch wurden in vielen Bereichen die in der Konvention verankerten zivilen Rechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung oder das Recht auf Aussiedlung, unterdrückt. [9]

Der geladene Referent Rudolf Albrecht (bereits 1973 Referent) wollte alle informieren, welche in der DDR die Gesellschaft von unten verändern wollten. Bereits hier lässt sich eine Verbindung zur späteren friedlichen Revolution herstellen, da die meisten Demonstranten von 1989 das gleiche Ziel verfolgten "Veränderung von unten". Es dürfte nicht verwunderlich sein, dass seit dieser Veranstaltung eine genauere Beobachtung durch den Staatssicherheitsdienst erfolgte. Politisch bedeutsam wurde auch die Veranstaltung im Frühjahr 1979 als Georg Meusel zum Thema "Die gewaltfreie Aktion - Alternative zu Krieg und Gewalt, zu Gleichgültigkeit und Resignation" referierte. Er ging dabei auch sehr detailliert auf gewaltfreie Widerstandsaktionen (z.B. Farmerbewegung in den USA, Aktionen der Bauern der Larzac-Hochebene), welche erfolgreich oder unwirksam gewesen waren, ein und zeigte Möglichkeiten auf, die ihm in der DDR brauchbar erschienen. [10] In den geheimen Stasiakten heißt es dazu:

"Durch Meusel wurden in diesem Referat Beispiele eingeflochten, um dadurch Möglichkeiten und Methoden des Protestes gegen staatliche Maßnahmen in der DDR aufzuzeigen". [11]

Das Thema des Herbst-Seminars von 1979 hatte den Titel "Die Rechtsstellung des Bürgers in der DDR", zu dem der Jurist Wolfgang Schnur redete. In seinem Vortrag befasste er sich mit den Staatsrecht, Wehrrecht, Strafrecht und ermunterte die Zuhörer ihre in der Verfassung garantierte Gleichberechtigung einzufordern. [12] Bereits hier wird deutlich, dass auch Themen zu Menschenrechts- und Umweltproblemen immer bedeutsamer wurden und somit größere Interessengruppen ansprachen. Besonders deutlich wurde dies an der gestiegenen Teilnehmerzahl. Während die Besucherzahl in den Anfangsjahren um zirka zehn Personen pro Veranstaltung gestiegen war, explodierte sie schlagartig ab Mai 1979. [13] Zudem gehörten zum ersten Mal auch niederländische Staatsbürger zu den Gästen. Dies alles führt zu der Schlussfolgerung, dass das Friedensseminar von Königswalde auffallend an "Ruhm" gewonnen hatte.

 

3.4 Die Staatssicherheit greift aktiv ein

Das Ministerium für Staatssicherheit sah in dem Bedeutungswachstum des Seminars eine Gefahr für den Staat und griff daher ins Geschehen ein. Eine Teilnehmerin berichtete, dass im Vorfeld der Frühjahrs-Veranstaltung Ungewöhnliches geschehen war:

"Zwei Tage vor Beginn des Seminars traf bei mir und den meisten anderen Teilnehmern ein Brief ein [...] in dem stand: Leider muß das Seminar in diesem Frühjahr ausfallen. Die Kirche wird gerade umgebaut, der Referent hat abgesagt, ich selber bin erkrankt. Unterschrift: Hans-Jörg Weigel. Da es von mir bis nach Königswalde nicht so ein weiter Weg ist, bin ich hingefahren, um Hans-Jörg einen Krankenbesuch zu machen und meine Überraschung über die plötzliche Absage mitzuteilen. Doch dieser war bei bester Gesundheit und auch die anderen beiden Gründe waren völlig aus der Luft gegriffen. Das Schreiben war eine Fälschung. Wir haben uns dann gleich ans Telefon gesetzt, um diejenigen, die Telefon haben, zu benachrichtigen, daß das Seminar doch wie geplant stattfindet, doch auch hier waren mysteriöse Mächte am Werk: Alle Gespräche die aus der Ortschaft Königswalde herausgehen sollten, waren blockiert. Trotzdem waren immerhin noch knapp 250 Teilnehmer gekommen [...].Viele Teilnehmer waren vergessen worden anzuschreiben [...], die Holländer bekamen die Briefe gar nicht erst rechtzeitig [...]." [14]

Da die Stasiaktion weniger erfolgreich war, als man sich erhofft hatte, fand das Friedensseminar zum Thema "Vertrauensbildung und Menschenrechte" trotzdem statt. In den verschiedenen Diskussionsgruppen forderte man mehr Grundrechte und rief die Kirche zu größerem Engagement auf. Die Staatsführung versuchte nun erneut indirekt die Arbeit des Seminars zu unterbinden. So kam es zur Verhaftung des Initiators Hansjörg Weigel kurz*** nach der letzten Veranstaltung. Ihm wurde es zum Vorwurf gemacht, das Buch "Die wunderbaren Jahre" seines besten Freundes und sehr kritischen DDR-Schriftstellers Rainer Kunze besessen zu haben. Angeklagt wurde er der Hetze gegen den Staat, jedoch ohne jeglichen Rechtshintergrund, da es keine offizielle Verbotsliste für Bücher gab, auf der es hätte stehen können. Obwohl die Dauer der Gefängnishaft anderthalb Jahre betragen sollte, wurde er schon im August nach dreizehn Wochen entlassen [15]. Gründe dafür gibt es verschiedene: Vor allem die massive und »öffentlichkeitswirksame« Intervention der Amtskirche [18], welche zu sogenannten "Kanzelabkündigungen" aufrief, spielte dabei eine tragende Rolle. Einen besonders wichtigen Grund sieht Matthias Kluge, dass der bevorstehende Staatsbesuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht gefährdet werden sollte, da in vielen westdeutschen Tageszeitungen [16], u.a. in der "Frankfurter Rundschau" und im "Tagesspiegel", über die Verhaftung berichtet wurden, war [17]. Zudem unterstand Hansjörg Weigel, aufgrund des Seelsorgeauftrages [17], dem Schutz der Kirche.

*** Angaben schwanken zwischen 216 und 1017 Tagen

 

3.5 Die Arbeit des Friedensseminars bis 1988

Unter den Teilnehmern zum Herbst-Seminar 1980, welches zu dem Motto "Vertrauen bilden – Frieden schaffen" stattfand, waren bedeutende Persönlichkeiten des Lutherischen Weltbundes mit Generalsekretär Dr. Carl Mau jr. aus den USA und Präsident Josiah Kibira aus Tansania anwesend.[19] Auch daran wird sehr deutlich, mit welchen Engagement die Kirche nun hinter der Veranstaltung stand, nachdem sie in den Anfangsjahren das Seminar nur argwöhnisch betrachtet hatte. [15]

Im März 1981 diskutierten die Gäste des Friedensseminars über die "Erziehung zum Frieden". Als Ursache für das Thema kann man den im September 1978 eingeführten Wehrunterricht in den Klassen 9 und 10 sehen, da seit dem viele Fragen bei den Gästen aufgetaucht waren. Zudem besaß das Seminar eine ganz besondere kulturelle Umrahmung, da der bekannte Liedermacher Gerhard Schöne sang. Seine Lieder hatten zum Teil einen großen metaphorischen Charakter der Kritik gegenüber dem Staat zum Ausdruck brachte. [20]

Unter dem Titel "Leben wir gegen das Leben?" wurde 1982 zum ersten Mal die Umweltproblematik ausführlich erörtert. Als Referent war Professor Dr. Erich Hoffmann geladen, der bereits 1978 einen Vortrag gehalten hatte. Ursache für diese Auseinandersetzung war vor allem die Tatsache, dass in der Deutschen Demokratischen Republik viele Angaben über die Umwelt und den Grad der Zerstörung geheim gehalten wurden. Unterstützung erfuhr das Seminar durch den Besuch des Bischofs Dr. Johannes Hempel, der selbst aktiv an der Podiumsdiskussion teilgenommen hatte. [21] Zur zweiten Veranstaltung des Jahres 1982 thematisierte man unter der Überschrift "Abrüstung und Sicherheit"[22] den Kalten Krieg mit Blick auf einen eventuellen Atomkrieg.

1983 wurden die Westkontakte des Königswalder Friedensseminars ausgeweitet und deshalb nahmen auch Besucher aus der BRD, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz und der USA teil. Zudem konnten die Organisatoren eine vom Staat aufgelöste Ausstellung zum UNO-Abrüstungs-Plakatwettbewerb [23] rekonstruieren und allen Gästen zugänglich machen. Das Thema "Die politischen Konsequenzen der Bergpredigt" zum "Fasten-Seminar" 1984 trug enormen politischen "Sprengstoff "in sich. Denn man verfasste eine Eingabe an den Staatsratvorsitzenden Erich Honecker u.a. mit folgendem Inhalt: "Wir sind der Meinung, dass die unseres Staates in erster Linie von der Zustimmung seiner Bürger abhängt. Deshalb halten wir es für notwendig, den innenpolitischen Entspannungsprozess, der Vertrauensbildung zwischen Bevölkerung und Staatsapparat von beiden Seiten einschließt, weiterzuentwickeln." [24] Auch zeigen sich deutliche Ziele, welche man auch mit den Demonstrationen von 1989 erreichen wollte.

Im Friedensseminar vom Frühjahr 1986 wurde deutlich Kritik am Verhältnis Staat und Gesellschaft geübt. Der geladene Landesjugenpfarrer Curt Staus bemerkte, dass die DDR-Bürger "mit zwei Wirklichkeiten groß geworden" seien, privat jammern und öffentlich jubeln würden. Er forderte seine Zuhörer auf, für ihre Rechte zu kämpfen, da es der Staatsführung nicht erlaubt sei über das Gewissen von Menschen zu entscheiden. [25] Bis 1988 befasste sich das Friedensseminar hauptsächlich mit theoretischen Fragen über die Rolle der Kirche und den Frieden. Im Frühjahr 1988 wurde das Tabuthema Kernenergie und dem Titel "Kernenergie – Ende aller Sorgen oder Sorgen ohne Ende?" diskutiert. [26]

IV. Vom Friedensseminar zur Friedlichen Revolution in Werdau

4.1 Auf dem Weg zur Friedlichen Revolution

Nach dem der Referent des zweiten Friedensseminars von 1988 deutlich die Eingrenzung der DDR-Bürger kritisierte und zudem indirekt die Reisefreiheit [27] gefordert hatte, ging der Vorbereitungskreis des christlichen Seminars noch einen Schritt weiter. Verschiedene Teilnehmer**** hatten Kritik an der Alleinherrschaft der SED und an der Wahlpraxis geübt und man kam zudem Schluss, die anstehenden Wahlen zu kontrollieren. Sie waren der Ansicht, dass dies nur durch die Kirche möglich war, denn nur so konnten landesweite Kontrollen organisiert werden. [15] So entwarfen sie am 30. Januar 1989 eine Empfehlung in welcher erklärt wurde, wie Gegenstimmen bei der Wahl aussehen mussten, um berücksichtigt zu werden. Sie riefen dazu auf, die Wahlkabine zu benutzen und anschließend an den öffentlichen Auszählungen teilzunehmen. Am 4.April wurde dann von der Landessynode Sachsen eine Mitteilung zur Wahl, welche die Grundideen des Vorbereitungskreises beinhaltete, veröffentlicht. [28] 1989 wurden auch in verschiedensten Eingaben Werdauer Bürger und Seminarteilnehmer vom Staat Systemveränderungen gefordert. [29]

**** Insbesondere Bernd Gerber und Anselm Meyer [28]

 

4.2 Erste Verbotene "Demonstration"

In Königswalde fand vom 6. bis 9. April 1989 der dritte konziliare Prozess statt. [25] Teilnehmer aus der DDR, BRD, UDSSR den Niederlanden, Schweden, Polen und den USA entschieden sich am 8.April, trotz Verbot durch den Rat des Kreises, zu "demonstrieren" (die als Demonstration deklarierte Veranstaltung ähnelte mehr einem Pilgerzug). Vom polnischen Zwangsarbeitergrab aus, zogen sie zum Kreisausbildungsgelände der GST*****, zum Volkspolizei-Schießplatz, zum Panzerübungsplatz, zur verseuchten Absetzanlage der Wismut, zur Dänkritzer Mülldeponie und endeten dann bei denGefallenendenkmälern für die Weltkriege. [30] Dabei wurde unterwegs über eine Vielzahl von Themen diskutiert. Diese "Demonstration" blieb jedoch ohne jegliche Konsequenzen [15]. Das besondere dabei war jedoch, dass man es erstmals wagte trotz Verbot zu demonstrieren.

***** Gesellschaft für Sport und Technik

 

4.3 Aktives Handeln des Friedensseminars

Am 7. Mai deckten, die durch das Königswalder Friedensseminar mobilisierten Personen, Wahlbetrug im Raum Werdau auf. Man hatte es geschafft einviertel aller Wahllokale zu kontrollieren. Die errechneten 5,79 und 5,81 Prozent Gegenstimmen für den Kreistag und für die Stadt- und Gemeindevertretungen entsprachen nicht im entferntesten den offiziellen Angaben von 1,26 und 1,62 Prozent. Da in weiten Teilen der DDR ähnlicher Wahlbetrug stattgefunden hatte und die Staatsführung dazu keine glaubhaften Erklärungen dafür hatte, schwand das Vertrauen der Bürger in ihren Staat. [31] Ein paar Tage später fand das Frühjahrs-Seminar mit dem Thema "Unsere Freund- und Feindbilder" statt. Durch den geladenen Referent Pfarrer Friedrich Schorlemmer wurde erörtert, dass die festgeschriebene, führende Rolle des Staates zu inneren Problemen führen muss. [32] Der Vorbereitungskreis des Christlichen Friedensseminars wirkte auch vom 6. bis 9. Juli auf einer Informationsveranstaltung in Leipzig mit. An ihrem Stand verteilten sie kaum bekannte Informationsblätter zu den Menschenrechten und zu den Bausoldatendienst. Das große Interesse der Menschen zeigt deutlich auf, das die Menschen von nun an ihre Rechte einfordern wollten. [32]

 

V. Schlussbetrachtung

Als ich den Initiator des Königswalder Friedensseminar Hansjörg Weigel fragte, inwieweit die Seminararbeit Auslöser der friedlichen Revolution (im Raum Werdau) war, sagte er mir bescheiden, dass die Seminare zwar die Revolution mit beeinflussten, aber es vermessen wäre, zu behaupten es wäre die Initialzündung gewesen. Es wären doch ein Teil der Menschen nur auf die Straße gegangen, weil "sie die Banane wollten".

Ergänzend möchte ich jedoch noch hinzufügen, das die meisten Teilnehmer der Seminare, auch Herr Weigel, die Deutsche Demokratische Republik nach eigenen, demokratischen Grundsätzen "von unten" verändern wollten. Zudem trug Ihre friedliche Aufklärungsarbeit erheblich zu der Mobilisierung der Bürger herbei und auch im Jahr 1989 arbeiteten sie sehr aktiv am "Veränderungsprozess der DDR" mit. Jedoch gab es noch viele andere, vor allem auch weltpolitische Ursachen ("Glasnost" und "Perestroika") für die Demokratische Bewegung in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.

 

VI. Anhang

6.1 Chronik und Themen der Friedensseminare

1973(1) Erstes Friedensseminar

1973(2) "Friedensdienst in der DDR"

1974(1) "Kirche, Krieg und Kriegsdienst"

1974(2) "Marxismus über Krieg und Frieden"

1975(1) "Die Bibel über Krieg und Frieden"

1976(1) "Militärische Erziehung in der DDR"

1976(2) "Marxismus als Frage an die Gemeinde"

1977(1) "Die Kriege Israels im Alten Testament und heute"

1977(2) "Menschenrechte"

1978(1) "Koexistenz - Proexistenz"

1978(2) "Frieden im neuen Testament"

1979 Sanierung der Kirche

1979(1) "Die gewaltfreie Aktion - Alternative zu Krieg und Gewalt, zu Gleichgültigkeit und Resignation"

1979(2) "Die Rechtsstellung des Bürgers in der DDR"

1980(1) "Vertrauensbildung und Menschenrechte"

1980(2) "Vertrauen bilden - Frieden schaffen"

1981(1) "Zum Frieden erziehen - eine Aufgabe für Christen"

1981(2) "Den Frieden lernen im Konfliktfeld Europa"

1982(1) "Leben wir gegen das Leben?"

1982(2) "Abrüstung und Sicherheit"

1983(1) "Wodurch erhält Gott die Welt?"

1983(2) "Zivilverteidigung - Verteidigung des Zivilen?"

1984(1) "Die politischen Konsequenzen der Bergpredigt"

1984(2) "Die Kirche, die Gruppen und das Friedenszeugnis"

1985(1) "Gewaltfreiheit im Friedensdienst"

1985(2) "40 Jahre Weltkriegsende - Verhängnis und Chancen"

1986(1) "Die Verantwortung der Regierten"

1986(2) "Konziliarer Prozess - Weltprobleme auf der Tagesordnung der Kirche"

1987(1) "Träume und Wirklichkeiten in der christlichen Friedensarbeit"

1987(2) "Friedensarbeit in der Kirchgemeinde"

1988(1) "Kernenergie - Ende aller Sorgen oder Sorgen ohne Ende?"

1988(2) "Du machst weit alle Grenzen unseres Landes"

1989(1) "Unsere Freund- und Feindbilder"

1989(2) "40 Jahre DDR - Was war? - Was ist? - Was wird?"

1990(1) "Wächst zusammen, was zusammen gehört?"

 

Weitere Themen einsehbar im Buch "Raum für Güte und Gewissen"

Quelle: Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

 

6.2 Chronik der friedlichen Revolution in Werdau 1989

30.1.1989 Friedensseminar-Vorbereitungskreis trifft sich zum Thema Wahl

7.5.1989 Wahlkontrolle - Wahlbetrug auf gedeckt

22.9.1989 Arbeitsgruppe "Gerechtigkeit" sammelt Unterschriften für Staatratsbrief

Mitte Oktober 1989 Unterschriftenlisten für Zulassung des Neuen Forums

27.10.1989 Protestkundgebung mit 500 Teilnehmer

28.10.1989 Bürgerversammlung

3.11.1989 Friedensgebet in Marienkirche 1400 Besucher

4.11.1989 Neues Forum meldet sich an

8.11.1989 SED-Kreisorganisation schreibt Brief an Egon Krenz für Reformen

20.11.1989 3. Friedensgebet in Marienkirche + Demonstration

27.11.1989 4. Friedensgebet in Marienkirche

1.12.1989 Erster " Runder Tisch"

3.12.1989 Bürger beteiligen sich an Menschenkette

4.12.1989 Demonstration mit 2000 Teilnehmer

7.12.1989 Demokratischer Aufbruch gegründet (in Königswalde)

11.12.1989 Friedensgebet mit anschließender Demonstration

13.12.1989 Unabhängiger Ausschuss zu Amtsmissbrauch & Korruption beginnt mit der Arbeit

16.12.1989 Eilantrag um Lizenz für unabhängige Zeitung zu bekommen

18.12.1989 Umtausch von Kriegsspielzeug

 

Quelle: 1989 Chronologie der Wende in Sachsen, a.a.O.

 

[...] Die Kapitel 6.3/6.4 sind online nicht verfügbar

 

6.5 Quellenkritik

Obwohl Ich mit großer Sorgfalt die Quellen ausgewählt habe, kann ich keine hundert prozentige Objektivität garantieren, denn schon die Auswahl von Fakten und Ereignissen stellt eine Wertung dar. Es ist daher empfehlenswert auch den historischen, gesellschaftlichen und politischen Hintergrund einer Quelle zu beachten.

 

6.6 Quellverzeichnis

[1] Seite 29, Raum für Güte und Gewissen, Herausgeber: Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage - Archiv der Bürgerbewegung Südwestsachsen - e.V., Kraussreinhardt GbR- Verlag, 1. Auflage 2004

[2] Seite 122, Klaus Ehring /Martin Dallwitz: Schwerter zu Pflugscharen, Friedensbewegung in der DDR, Rowohlt Taschenbuchverlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, Juli 1982

[3] Vgl. mit Gesprächsprotokoll: Hansjörg Weigel

[4] Seite 31, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[5] Seite 39, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[6] Seiten 38/39, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[7] Seite 19, Ehring / Dallwitz, Schwerter zu Pflugscharen, a.a.O.

[8] "Sputnik, Sputnikreise", Ein Liederbuch für Vorschulkinder, VEB Friedrich Hofmeister Leipzig 196 (Angabe aus Raum für Güte und Gewissen, S. 46, a.a.O.)

[9] Seite 52, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[10] Seiten 59/60, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O. [

[11] Bstu Chemnitz, OV "Marder", Spitzelberichte Im "Bill", Sefan Torand: S.256, 26.05.1979, S.247, 27.05.1979 (Angabe aus Raum für Güte und Gewissen, S. 46, a.a.O.)

[12] Seiten 64/65, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[13] Seite 62, Romy Thiele: Die evangelische Kirche und ihre Haltung zu den politisch alternativen Gruppen in der DDR (1978 bis 1989) am Beispiel des Christlichen Friedensseminars Königswalde, Magisterarbeit,Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, 2003

[14] die tageszeitung vom 13. Oktober 1981 (Angabe aus Ehring / Dallwitz, Schwerter zu Pflugscharen, a.a.O.)

[15] Vgl. mit Gesprächsprotokoll: Hansjörg Weigel

[16] Seite 83, Romy Thiele: Die evangelische Kirche und ihre Haltung zu den politisch alternativen Gruppen in der DDR (1978 bis 1989) am Beispiel des Christlichen Friedensseminars Königswalde,a.a.O.

[17] Vgl. Seite 73, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[18] S.7 , Matthias Kluge, Institutionalisierte Zivilcourage. Das Fallbeispiel Königswalde/Sachsen, in: "Horch und Guck" Historische-literarische Zeitschrift des Bürgerkomitees "15.Januar" e.V., Heft 38

[19] Vgl. Seiten 78/80, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[20] Vgl. Seiten 84/85, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[21] Vgl. Seiten 100/101, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O

[22] Seite 102, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[23] Seite 109, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[24] Seite 119, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[25] Seite 127, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[26] Seite 142, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[27] Seite 147, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[28] Seiten 2/3, Georg Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte. Die Ereignisse der friedlichen Revolution 1989/90 im Raum Crimmitschau/Werdau, Herausgeber: Martin-Luther-King-Zentrum Werdau, Beier & Beran. Archäologische Fachliteratur, Weißbach & Werdau 1999

[29] Vgl. Seiten 4/5, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[30] Vgl. Seiten 5/6, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[31] Vgl. Seiten 3/4, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[32] Vgl. Seiten 152/153, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[33] Vgl. Seiten 156/157, Raum für Güte und Gewissen, a.a.O.

[34] Vgl. Seite 14/15, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[35] Seite 68, 1989 Chronologie der Wende in Sachsen, Bearbeiter: Aline Fiedler / Frank Tiesler, 2., überarbeitete und ergänzte Auflage, Herausgegeben von der Sächsischen Staatskanzlei, August 2000

[36] Vgl. Seiten 15/16, Meusel:Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[37] Vgl. Seiten 17/18, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[38] Vgl. Seiten 21/22, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[39] Vgl. Seite 133, 1989 Chronologie der Wende in Sachsen, a.a.O.

[40] Vgl. Seiten 28/29/30, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

[41] Vgl. Seiten 32/33, Meusel: Wunde Punkte - Wendepunkte, a.a.O.

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